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Salutationes
in der Liturgie des „evangelischen Gottesdienstbuches“

 

Brigitte Gensch

Vortrag auf der Tagung des ISAK
(Intersynodaler Arbeitskreis Christen und Juden)
am 27.05.2002 in Köln.

Segen    AtelierTammeHoekstra
Tamme Hoekstra: "De Segen"
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Daß nicht nur „Predigen Grüßen des Nächsten“(1) ist, sondern unsere Liturgie von Segensgrüßen und Grußformeln angenehm kommunikativ durchzogen ist, soll an vier Stationen gezeigt werde.

a  Salutatio direkt nach dem Eingangsvotum
b)   der Wechselgruß vor dem Kollektengebet
c)    Kanzelgruß und - segen
d)   der Friedensgruß während des Abendmahles

Gruß- und Segensformeln gliedern einleitend und beschließend liturgische Teile oder Handlungen des Gottesdienstes. Ihrem Inhalt nach gehen Segen und Gruß ineinander über, kein Gruß, der nicht auch Segen wäre, kein Segen, mit dem nicht auch gegrüßt würde. Das biblische „schalom“ erweist die inhaltliche Überschneidung besonders deutlich, denn mit Schalom wird sowohl gegrüßt 
(z.B. I Sam 25, 6: David sendet an den aggressiven Nabal einen Friedensgruß: Schalom dir und deinem Haus; Joh 20, 19: Jesus tritt unter die ängstlichen Jünger und löst ihre Angst „vor den Juden“ mit seinem Friedensgruß „Friede sei mit euch“, „Schalom aleichem“, „eirene hymin“) 
 
als auch gesegnet
(aaronitischer Segen Num 6, 2 „ER setze dir Frieden“ oder der Kanzelsegen aus Phil 4, 7 „und der Friede Gottes, der allen Verstand überrragt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus“)


Beide, Segen wie Gruß, zielen darauf, der Ewige möge uns Sein Mit-Sein gewähren. Und die traditionelle Bezeichnung „salutatio“ (lat. „
salus“ = Heil) bringt diese Doppelbestimmung, der liturgische Gruß sei ineins Kommunikation der Segenszusage, sprachlich zum Ausdruck.

a) Auf das trinitarische Votum 
(das zugleich immer auch eine Tauferinnerung ist, denn es stammt aus Mt 28, 19 „ und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“)
und das biblische Votum aus Psalm 124, 8 „unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ 
folgt der erste Segensgruß des Liturgen / der Liturgin, 
entweder in der Form
„die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen“ 
oder (wenn kein Abendmahl gefeiert wird) mit der Wendung
„der Friede des Herrn sei mit euch“, wobei hier wie auch sonst in der Liturgie die neutestamentlich bedingte Doppelung des Hoheitstitels besteht, der sich eben sowohl auf Gott (JHWH = Kyrios in der LXX) als auch auf Christus (Kyrios Christos) bezieht, die Referenz also unklar ist.

Die Anfangsstellung des liturgischen Grußes direkt nach dem Eröffnungsvotum ist neu, d.h. die ältere Agenda (sog. Agende I) situierte den ersten Gruß der salutatio nach Kyrie und Gloria, weil an dieser Stelle erstmals der Liturg / die Liturgin auftrat. 

Auf die Kommunikation zwischen Gott und Mensch (Kyrie, Gloria) folgte die zwischen LiturgIn und Gemeinde, Mensch und Mensch.

Die erwähnte trinitarische Form der salutatio ist dem Briefschluß des 2. Korintherbriefes entnommen (II Kor 13, 13), wie insgesamt die stereotypen Grußformel (zu Anfang und Schluß eines Briefes) der paulinischen Briefliteratur die liturgische Rahmung der Predigt formen. 
Vielleicht leistet diese Zitationsform eine Anamnese, das heutige Gottesdienstgeschehen in Liturgie und Verkündigung mit der urchristlichen Feier zu verbinden, in der die Lesung des apostolischen Briefes zentral war.

Weiteres weist zurück in die Tradition: 
wie die Grußformeln
„Friede sei mit dir / euch“ 
und
„der Herr sei mit euch“ ist auch 
der gemeindliche Gegengruß
„und mit deinem Geiste“
(vgl. Gal 6, 18; Phlm 25; II Tim 4,22) ältestes liturgisches Gut. 

Die beiden Grüße sind biblisch; auf
I Sam 25, 6 wurde schon verwiesen.
Und daß man seinem Gegenüber wünscht,
„der Herr sei mit dir / euch“ findet sich im Buch Ruth 2, 4 , als Boas seine Ähren schneidenden Knechte und die hinzugekommene Ruth so grüßt, und Lk 1, 28, als der Engel Gabriel die zu Tode erschrockene Maria grüßt. 

Beide Grüße sind jüdische Segensformeln, durch deren Verwendung in christlichen Gottesdiensten die Verbindung zum Judentum gewahrt bleibt.
Die westkirchliche Tradition verteilte die beiden Wendungen hierarchisch, „
pax vobiscum“ zu sprechen, war dem Bischof oder Papst vorbehalten, während das „der Herr sei mit euch“ von jedem Liturgen gesagt werden durfte.

Wie erwähnt, rückt die Erneuerte Agende die salutatio an den Anfang des Gottesdienstes:
Einer /eine steht auf und wendet sich grüßend den Vielen, der Gemeinde zu.
Die Anfangsstellung des Segensgrußes stellt den ganzen Gottesdienst von seinem Beginn an unter den Segenswunsch, der NAME und Sein Friede möge mit da und mit uns sein. 
In den Eröffnungsteil gehört das wechselseitige Geschehen, daß die LiturgIn ihre gottesdienstleitende und für-betende Funktion nicht ausübt, ohne zuvor die Gemeinde zu segnen und sich segnen zu lassen.

Vielleicht scheint in dieser Konstellation, in der/ die Einzelne/ Eine und die Vielen aufeinander grüßend verweisen, die biblische Grundstruktur wider:
das
Eine Volk Israel und die Völker / der Eine (wahre) Mensch Jesus
(der Jude) und die ganze Menschheit.

Wichtig und nicht genug hervorzuheben aber ist, daß der Friedensgruß der Eröffnung („der Friede des Herrn sei mit euch - Friede sei mit dir“) auf Jesu Friedensgruß Joh 20, 19 zurückgeht. 
Die Jünger hatten sich, wie es heißt, aus
„Furcht vor den Juden“, also wegen ihrer Judeophobie hinter geschlossenen Türen verbarrikadiert; 
da tritt der Auferweckte unter sie und nimmt ihnen mit dem Friedensgruß ihre Angst. 
Christliche Gottesdienste: von Beginn an sollen sie unter der Verheißung der Angstfreiheit stehen, also ohne Judeophobie, die sooft in Judenhaß umschlug, sein.

b) Liturgische Einschnitte, wann immer der Liturg/ die Predigerin heraustritt, exponiert ist, werden durch salutationes markiert. 
Diese Gliederungsweise nahm im
Mittelalter mehr und mehr zu und schließlich überhand (neunmal dann in der Tridentinischen Messe), so daß der Sinn verdunkelt wurde.
Die
Reformation reduzierte rigoros auf zwei Stellen im Verlauf des Gottes = dienstes, einmal vor der Kollekte und einmal als Einleitung zum Dialog der Präfation (Abendmahl). 
Die Plazierung des Segensgrußes
„der Herr sei mit euch - und mit deinem Geiste“ vor das Tagesgebet (bzw. nach dem Gloria als Ort des ersten Auftretens des Liturgen überhaupt gemäß der älteren Agenda) und in den Eröffnungsteil der praefatio
(2) ist geblieben, der Eröffnungsgruß in der benannten Doppelgestalt (II Kor 13, 13 oder Joh 20, 19) mit der Erneuerten Agende wie erwähnt hinzugekommen.

c) Da in der Regel Liturg und Prediger personalidentisch sind, empfiehlt die Erneuerte Agende kurz und knapp den Wegfall des Kanzelgrußes
(3).
Die liturgische Rahmung der Predigt mit Gruß, Segen und oftmals auch einem Kanzelgebet zum Schluß der Predigt (reformierte Tradition) wurzelt einmal 
> in der Tradition, daß Liturg und Prediger nicht identisch waren, die Predigt also den Auftritt eines neuen Gottesdienstakteurs markierte, 
> zum anderen in derjenigen des sog. Prädikantengottesdienstes. 
Damit verbindet sich v.a. im Hochmittelalter ein Gottesdiensttypus, der predigtzentriert katechetische und missionarische Aufgaben erfüllte und mit eigenem Gewicht der Meßfeier zur Seite gestellt war.

Das Argument der Personalidentität, welches die EA ins Feld führt, sollte man nicht zu stark gewichten, die Gründe, den Kanzelgruß
(neben dem Segen, den auch die EA beibehalten wissen will) beizubehalten, überwiegen. 
Der Gruß unterstreicht, daß das Predigtgeschehen von der bisherigen Liturgie als ein eigenständiges Geschehen
(und „Grüßen“ s. Geburtstagsrede für M.F.) an einem neuen liturgischen Ort, der Kanzel nämlich, sich unterscheidet. 

Der Kanzelgruß, trotz einer gewissen Bandbreite der Varianten, ist biblisch hinterlegt und in der Regel an den brieferöffnenden Grußformeln der Paulinen 
(Röm 1, 7b; I Kor 1, 3; II Kor 1, 2; Eph 1, 2; manchmal wird auch der Briefschluß II Kor 13, 13 oder Offb 1,4b als Kanzelgruß gesprochen)  orientiert. 

Mit dieser biblisch-apostolischen Verankerung könnte sich erneut eine anamnetische Wirkung verbinden, das Kerygma auf die apostolische Brieflesung urchristlicher Gottesdienste rückzubeugen. „
Jetzt“ und „damals“ treten in Kommunikation, das Subjekt und immer auch Subjektive der Predigt mit der höheren Allgemeinheit der biblischen und apostolischen Tradition. 

Analoges leistet der Predigtbeschluß durch den Kanzelsegen (meist
Phil 4, 7). Was immer wir Gutes und Heilendes und Friedensstiftendes und Vernünftiges gesagt und verkündigt haben, uns überschwenglich und unverfügbar ist der Friede Gottes. Und wie gut und erschöpfend unsere Predigt für heute auch war, sie ist schon überholt durch den Text, den sie auslegte und der schon seiner nächsten Auslegung entgegengeht.

d) In der Abendmahlsliturgie finden sich an zwei Stelle Segensgrüße. Auf die salutatio der Präfation wurde bereits hingewiesen. Zweitens gehört zur Abendmahlfeier der an Joh 20, 19 orientierte Friedensgruß, den die Gottesdienstfeiernden auf die liturgische Aufforderung Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Gemeinschaft einander zusagen. In den alten Liturgien war der Friedensgruß noch mit dem Austausch eines Friedenskusses verbunden.
Daß das Abendmahl mit dem Friedenssegen, der von Angst befreit, versehen ist, wollen wir hier hervorheben. Abendmahlsfeiern, die so gesegnet sind, vollziehen sich nicht in angstvoller Abgrenzung
(und Überbietung) zu Israel, sondern sind befreit, das Herrenmahl in der Erinnerungs- und Hoffnungs-dimension des Pessachmahls zu feiern.
Für die Position des Friedensgrußes in der Abendmahlsliturgie bieten sich zwei verschiedene „Orte“ an; einmal vor der Austeilung und vor dem „Agnus Dei(so verfährt die EA) oder nach der Austeilung. 

Mit der Verschiedenheit der Position ist eine unterschiedliche theologische Akzentuierung verbunden. 
Ein Friedensgruß vor der Austeilung lehnt sich an die Weisung aus der Bergpredigt
Mt 5, 24 an, die den Gang zum Altar an die vorherige Aussöhnung mit dem Nächsten verspannt und der Blasphemie wehren will, als ginge Gottesnähe und Nächstenferne zusammen. 
Ein Friedensgruß nach der Austeilung versteht den Gruß (und das Einander-Grüßen-Können) als erste Frucht und wirksame Konsequenz des Friedens, der im gemeinsamen Mahl zuteil wurde.

Anmerkungen:
(1)
So betitelt Friedrich-Wilhelm Marquardt seine Geburtstagsrede für Martin Fischers 60.Geburtstag, gehalten am 8.9.1971 in Berlin; in: Marquardt, Fr.-W., Verwegenheiten, Theologische Stücke aus Berlin, München 1981, S. 15.
(2) Diese hat drei Teile: a) Salutatio „der Herr sei mit euch – und mit deinem Geiste“; b) sursum corda „erhebt eure Herzen – wir erheben sie zum Herrn“; c) Danksagung „Laßt uns danksagen dem Herrn, unserm Gott – das ist würdig und recht.“
(3) Damit knüpft die EA an die Alte Kirche wieder an, in der ohne zwischengeschalteten Gruß auf die Lesung des Evangeliums direkt die Predigt folgte.

Literatur:
Baltruweit, Fritz; Ruddat, Günter: Gemeinde gestaltet Gottsdienst – Arbeits= buch zur Erneuerten Agende, Gütersloh 1994.
Bieritz, Karl-Heinrich; Schmidt-Lauber, Hans-Christoph(Hg.): Handbuch der Liturgik, Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche, Leipzig. Göttingen 1995 (2).



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