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Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt!

 

Der Predigttext für den heutigen G“ttesdienst steht im
Evangelium nach Matthäus, Kap. 4, 12-17

 

Matthäus, Kap 4, vv 12-17

12 Als er aber hörte, dass Johannes gefangengesetzt worden war, zog er nach Galiläa zurück.

13 Und er verliess Nazareth und kam nach Kapernaum, das am See im Gebiet von Sebulon und Naphthali liegt, und nahm [dort] Woh­nung,

14 damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja gesprochen wor­den ist, welcher sagt:

15 «Das Land Sebulon und das Land Naphthali gegen den See hin, jen­seits des Jordan, das Galiläa der Heiden,

16 das Volk, das in der Fin­sternis sass, hat ein grosses Licht ge­sehen , und die im Lande und Schatten des Todes sassen, denen ist ein Licht aufgegangen.»

17 Von da an begann Jesus zu predi­gen: Tut Busse, denn das Reich der Himmel ist genaht.

 

Liebe Gemeinde!

sind Sie schon einmal in ein fremdes Land oder in eine Ihnen fremde Gegend gekommen und haben – obgleich man Ihnen Orte und Wegweisungen nannte – sich nicht orientieren können?

In solch eine Situation versetzt uns der Evangelist Matthäus mit all den Orten und Ortsbewegungen, die er uns nennt. Und ich trete wohl niemandem zu nahe, wenn ich vermute, daß sich die allermeisten von uns in dem geographischen Netz des heutigen Predigttextes verfangen.

Aber wir möchten doch verstehen, woher Jesus kommt, wohin er unterwegs ist und wo er ankommt, vor allem aber möchten wir verstehen, warum er alle diese Wege geht.

Und deshalb taugt für heute nicht nur eine Landkarte, die uns die Orte, deren Lage zueinander und ihre Entfernungen voneinander aufzeichnet, sondern eine Karte mit einer besonderen Legende: die uns die Bedeutung der biblischen Namen aufschlüsselt und eine Karte nicht nur des Raumes, sondern auch der Zeit ist. Denn, nicht wahr, anders als Goethe meinte, sind die Namen der Bibel nicht „Schall und Rauch“, sie sind Namensmale – in Sprache gefaßte Male, mit denen Menschen sich erinnern und hoffen, weil G“tt an ihnen gehandelt hat und ihnen etwas zu hoffen gibt.

 

Gehen wir also mit einer solchen Legende Jesu Wege mit, von denen uns erzählt wird.

Johannes, der Täufer und Prediger, ist vom König Herodes gefangen gesetzt worden. Johannes, der eben noch Jesus im Jordan taufte und ihm im Predigen voranging, er wartet seinem Tod entgegen. Jesus entzieht sich dem bedrohlichen Machteinfluß, das aus Jerusalem her das ganze jüdische Kernland überzieht, indem er ins nördliche Galiläa ausweicht.

Er verläßt sein Herkunftsdorf Nazareth, das mehr im südlichen Galiläa liegt. Nazareth, das bedeutet „Sprößling“, „Sproß“, und so paßt der Name des Herkunftsortes aufs Beste zu Jesus, der ja nach der Verheißung der Propheten Sproß aus Isai /Jesse, Sprößling des Davidhauses ist. Nun verläßt er diesen Ort und nimmt die Bedeutung, ein Davidskind zu sein, mit auf seinen Weg nach Norden in Richtung des heutigen Libanon und Syrien.

Er bewegt sich weg vom jüdischen Kernland und nähert sich der Grenze: kaum noch eigenes Volk, eher schon reichlich fremdes Volk wohnt da. Heidnisches Volk, das im Finstern sitzt.

In diesem Grenzland, nahe dem See Genezareth, in einem Ort namens Kapernaum läßt Jesus sich nieder. K´far-Nachum, das bedeutet „ein Ort, an dem man getröstet wird“, ein Dorf des Trostes, Trost-Dorf.

 

Eine trostlose Gegend ist es, in die Jesus kommt, eine, die des Trostes bedarf:

der äußerste nördliche Zipfel von Israel mit seinen beiden nördlichen Stammesnamen und -gebieten Sebulon und Naphthali, von alters her, zumindest seit den Zeiten des Propheten Jesaja, ein Bezirk, in dem überwiegend solche Menschen wohnen, die noch nicht von G“tt berührt worden sind.

Solche, die – wenn es hoch kam – den Taten G“ttes und Seines Volkes zusahen oder von ihnen hörten, aber an dieser G“ttesgeschichte sonst nicht weiter beteiligt waren.

Solche, die – wie es zumeist ging – dieser Geschichte den Rücken zuwandten und ihren eigenen, finsteren Wegen folgten. Ein Schattenland, es kann einem schwarz vor Augen werden; Licht gibt es, aber es ist rückwärts verdeckt. Um es zu sehen, müßte man sich umdrehen, müßte man umkehren. Eine trostlose Gegend, einerseits.

 

Aber die Namensmale „Sebulon“ und „Naphthali“ erzählen uns G“tt sei Dank auch eine andere Geschichte, keine des Todes und seiner Schatten, vielmehr des Lebens, das gesegnet leben und im Segen weiterleben wird. Jakobs mindergeliebte Frau Lea nennt ihren sechsten Sohn Sebulon, denn sie erhofft sich, daß ihr Mann nun endlich bei ihr bleiben und bei ihr eine gute Wohnung nehmen wird (das bedeutet „Sebulon“: gedeihliches Wohnen). Und Jakobs Lieblingsfrau Rachel, die zunächst keine Kinder bekommen kann, nennt ihren zweiten Sohn Naphthali. Denn sie ist stolz, mit ihrer erfolgreichen Schwester Lea im Wettstreit der Geburten das Ihrige zum Leben des Hauses Israel beitragen zu können (das bedeutet „Naphthali“: erfolgreiches Ringen für einen g“ttlichen Zweck). Der alte, sterbende Jakob wird die beiden, Sebulon und Naphthali, wie alle seine 12 Söhne unter G“ttes Segen stellen und ihnen eine gesegnete Zukunft zusprechen.

 

Jesus geht; er verläßt den Kernbereich der Macht und nimmt Wohnung dort, wo man des Trostes bedarf. Auf der Grenze und am äußersten Rand, und doch nicht fort- und weggehend. Vielmehr: nach innen und zurück geht sein Weg, zurück und hinein in die Geschichte seines Volkes, zurück in die Zukunft, die G“tt Seinem Volk Israel verheißen hat. Ein Licht zu sein, nicht nur für sich und zu G“ttes Freude und Ehre, ein Licht für alle Völker wird es sein.

Rätselhafte Wege geht Jesus: zu Zeit und Geschichte wird der Raum, den er durchmißt. Grenzgradig und ans Äußerste geht der Weg, und doch nach innen und ins Zentrum dessen, was G“tt vorhat: Sein Licht allen, die im Finstern wohnen, zu bringen. Zurück in all das, was schon an Gutem und Segensreichem geschah – mit Rachel und Lea und David - und vorwärts zu dem, was noch alles fehlt und zu hoffen aufgibt. Jesus er-innert sich, so geschieht Rettung, die seinige und auch die unsrige. Daß das Geheimnis der Erlösung Erinnerung ist, dieser oft gebrauchte Satz jüdischer Weisheit bewährt sich, wie könnte es anders sein, auch in den Wegen, die Jesus geht.

 

Und wie ist es nun, liebe Gemeinde, im Schattenland bestellt?

Vielleicht so:

 

seine Bewohner leben in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen Ausgang zum Licht hat. Den aber und das Licht können sie nicht sehen, denn sie sind von ihrer Kindheit an Hals und Beinen gefesselt und so nicht fähig, sich zur Seite zu wenden oder sich gar umzusehen.

Sie blicken stattdessen vor sich auf eine ihnen gegenüberstehende Wand, auf der die Gefangenen allerlei Schatten sehen, die eigenen, die ihrer Mitgefangenen und die der Dinge, der Gegenstände.

Das Gaukelspiel der Schatten, die sie sehen, entsteht, weil von ferne und rückwärts der Gefangenen ein Feuer brennt. Vor diesem Feuer, nahe dem Ausgang geht ein Weg an einer kleinen Mauer entlang.

Zwischen Feuer und Mauer bewegen sich die freien Menschen, auf dem Wege tragen sie Gegenstände aller Art, und da die Mauer recht niedrig ist, wirft das Feuer die Schatten der getragenen Gegenstände und ihrer Träger auf die Wand.

Die Gefesselten aber wissen nichts von der Welt in ihrem Rücken, nichts von der Freiheit, nichts vom Ausgang zum Licht, nichts von wirklichen Menschen und realen Dingen. Ihre Schattenwelt halten sie für die einzig wahre und wirkliche, da sie keine andere kennengelernt haben.

Aber vielleicht gibt es einen der Gefesselten, dem es gelingt, sich zu befreien und den Aufstieg zum Ausgang zu beginnen – und es finden sich einige der Freien, die ihm ganz nach oben und ins Freie helfen, da er es alleine nicht schafft, so geblendet von der ungewohnten Helligkeit, dann wird es der Befreite allmählich lernen, die wahre von der Schattenwelt, das Helle vom Dunklen zu scheiden.

Und er wird die wunderbare Veränderung und Umwendung seines Lebens preisen, die Welt seiner vergangenen Dunkelheit und Gefangenschaft aber beklagen – und auch die, die in ihr noch immer wohnen.

Möglicherweise drängt die Klage zur Tat, und er steigt hinab, die Anderen zu befreien. Wenn er ihnen dann von der Welt dort droben erzählt, so werden sie ihn gewiß verlachen und sagen, er habe sich dort die Augen verdorben; und wenn er sie aus den Fesseln zu befreien sucht, kann es sein, daß sie an ihm Anstoß nehmen und ihn töten wollen.

 

Das Gleichnis, das ich Ihnen gerade erzählte, ist kein biblisches, sondern ein heidnisches, genauer eines der griechischen Philosophie. Der weise Sokrates hat es geformt, und sein Schüler Plato hat es uns überliefert, das sog. „Höhlengleichnis“.

Und von seiner Klugheit wollen wir uns für heute etwas nehmen:

wie überaus beschwerlich und der Hilfe bedürftig es ist, sich den Weg zum 
Licht zu bahnen, und wie überaus zäh und selbstgenügsam der Stand der 
Unfreiheit ist

daß erst im Lichte die Schatten auftauchen und erst, wer einmal ins Licht sah,
erkennt, wie dunkel und schattenhaft die Welt ist

wie gefährlich, ja tödlich es sein kann, Licht ins Dunkle, Freiheit in die
Gefangenschaft und Umkehr in das Bisherige bringen zu wollen.

 

Und doch gibt es den Einen, Christus, der all diese beschwerlichen Wege des Hinab und Hinauf gegangen und mitgegangen ist, das Eine Licht aus Israel, in dem wir das Licht sehen – „in deinem Licht sehen wir das Licht“, so sagten wir es im Eingangspsalm.

Der Eine, der diese Wege gegangen ist: hinab zu uns in das Reich des Todes, die wir ohne G“ttes Licht doch gar nicht wüßten, was Leben wäre. Bei uns, damit wir zwischen all den Schatten nicht vor Angst vergehen, damit wir in seinem Licht unsere eigenen Schatten und Dunkelheiten ansehen und aushalten können. Hinauf mit uns, denn alleine schafften wir es nicht, glitten vielmehr zurück in unsere alten, dunklen Gewohnheiten.

Der Eine, der all diese Wege mit uns und uns zugute gehen kann, weil er dorthin vorausgegangen ist, wo schon Rettung ist: in die Geschichte seines Volkes.

Da mag die Gefangenschaft des Johannes jetzt und Schlimmeres bald in Jerusalem kommen. Und den Gefangenen vertretend und an seiner Statt predigend, ermutigt uns Jesus:

Kehrt um, denn G“ttes Reich ist nahe. Wendet euch zum Licht um, seid getrost, denn ich selbst bin euch zugewandt.

Jesus, das Namensmal, welches bedeutet: G“ttes Hilfe.

Amen.

 

 

Und der Friede G“ttes, der höher ist als all unsere Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

 

Liturgie des G"ttesdienstes


erstellt am
09.01.2004

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